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1. Problemstellung
Während die Diskussion um die Tropenwälder aus dem öffentlichen
Interesse der westlichen Industrieländer zu verschwinden droht, nimmt
die Problematik ihres Rückgangs und den daraus resultierenden Folgen
tatsächlich zu. (1) Dies gilt auch
für die Wälder Venezuelas, die bislang wenig Beachtung fanden.
Venezuela ist zwar bislang, landesweit betrachtet, mit ca. 50% noch immer
zu einem hohen Grad bewaldet. Seit den 80er Jahren wurde aber ein bis dato
nicht gekanntes Tempo der Entwaldung erreicht, die auf bis zu 500.000-600.000ha
pro Jahr geschätzt wird. Dies ist um so erstaunlicher als in Venezuela
viele der geläufigen Erklärungsmuster nicht greifen Dies gilt
auch für die Wälder Venezuelas, die bislang wenig Beachtung fanden.
Venezuela ist zwar bislang, landesweit betrachtet, mit ca. 50% noch immer
zu einem hohen Grad bewaldet. Seit den 80er Jahren wurde aber ein bis dato
nicht gekanntes Tempo der Entwaldung erreicht, die auf bis zu 500.000-600.000ha
pro Jahr geschätzt wird (2) .
Dies ist um so erstaunlicher als in Venezuela viele der geläufigen
Erklärungsmuster nicht greifen. (3)
Der Verstädterungsgrad ist hoch, die landwirtschaftliche Produktion
gering, die Bevölkerung bezogen auf die Landfläche ebenso. Der
venezolanische Staat scheint zudem dank der Erdöleinnahmen verhältnismäßig
unabhängig zu sein, was sein Steuerungspotential erhöhen müsste.
Außerdem legen die vielen Institutionen im Umweltsektor den Schluß
nahe, daß es ein staatliches Interesse an Umweltschutz gibt. Venezuela
war z.B. das erste Land in Lateinamerika, das damit angefangen hatte, Wälder
mittels langfristiger Managementpläne zu nutzen.
Von der Entwaldung sind auch Waldflächen betroffen, die per Gesetz
zu dauerhaften Waldgebieten erklärt worden waren, sog. „Reservas Forestales".
Obwohl bislang keine forstpolitischen Mittel gefunden wurden, die destruktiven
Prozesse zu verhindern, will die derzeitige Regierung in noch weit größerem
Rahmen Holzexploitation fördern . (4)
Wie erklären sich die Entwaldungsprozesse unter diesen besonderen
Umständen?
Welche Rolle spielt der "Staat" bei der Gestaltung des Verhältnisses
von Wald und Gesellschaft?
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2. Untersuchungsdesign
Ausgangspunkt der Arbeit ist die These, daß staatliche Politik Einfluß
auf gesellschaftliche Prozesse und Strukturen hat. Das „policy-making"
stellt dabei ein Instrument zur Problembewältigung und Konfliktvermeidung
dar. Die materialisierte Forstpolitik weist insbesondere Forstreservaten
den Status von "permanenten" Wäldern zu, die Schutz- und Holzproduktionsfunktionen
zu erfüllen haben. Von den alten Forstreservaten im Westen des Landes
sind aber nur noch geschätzte 30% erhalten. Wieso konnte dies geschehen,
ohne daß es zu größeren politischen Reaktionen kam? Wo
politisch-legale und professionel-ethische Ziele der nachhaltigen Nutzung
nicht erreicht werden, müsste eigentlich hoher politischer Handlungsbedarf
erwartet werden. Ob (Umwelt)-Probleme als solche wahrgenommen werden und
in die Politikarena gelangen, hängt jedoch von der Art ab, wie diese
definiert oder mit welchen „frames“ sie versehen werden (5).
Will man verstehen, warum es zu den skizzierten widersprüchlichen
Entwicklungen in der Forstpolitik Venezuelas kommen konnte, muß also
analysiert werden, wie Probleme bestimmt werden, wer bei der Definition
der Probleme beteiligt ist sowie welche dieser als lösenswert betrachtet
werden (6).
Bezugspunkt der Forschung bilden zwei Forstreservate (Imataca und Ticoporo).
Hier liegen klare politische und forsttechnische Zielsetzungen vor, die
sich unter dem forstpolitischen Paradigma „Schutz durch Nutzung" plakativ
zusammenfassen lassen. Ticoporo ist um so interessanter, als es lange Zeit
als Modell für Lateinamerika gepriesen wurde. Es war das erste Waldgebiet,
das sog. langfristigen Managementplänen unterworfen wurde. Sein erster
„Produktionszyklus“ steht kurz vor dem Ende. Die Ergebnisse sind ernüchternd.
Die erhofften sozialen und ökonomischen Effekte sind weitgehend ausgeblieben.
Weder profitierte der Arbeitsmarkt in signifikantem Maße, noch kam
es zum unterstellten „take-off“ ruraler Entwicklung. Die ökologischen
Wirkungen zeigen sich in ausgeplünderten und z.T. gänzlich verlorengegangenen
Waldflächen. Ungeachtet dessen wurde das "Modell" Ende der 80er Jahre
in den Süden des Landes (Imataca) übertragen, wo die Verhältnisse
um einiges schwieriger sind, da es sich um noch fragilere Ökosysteme
handelt.
In Venezuela findet die Aneignung öffentlicher Güter in Händen
weniger Unternehmen nicht offen statt. Konzessionäre sind zu gewissen
symbolischen „Reinvestitionen" (z.B. Anlegen von Plantagen, Linienpflanzungen...)
bereit, die ihrem eigentlich produktiven Charakter jedoch zuwiderlaufen
und zu bloßen betriebswirtschaftlichen Kosten geraten, weil sie beispielsweise
nach wenigen Jahren aufgrund mangelnder Pflege absterben. Gleichzeitig
wird von heimischen Forstexperten immer wieder auf die vorbildliche Ressourcennutzung
verwiesen und etwaige Mängel auf unwesentliche Implementationsprobleme
oder außerforstliche Akteure verschoben. Es besteht in Venezuela
darüber hinaus breiter öffentlicher Konsens, daß es ein
vorbildliches Forstmanagement besitzt.
Anstöße zur Thematisierung der Probleme oder zu forstpolitischen
Kursänderungen könnten von Seiten der Wissenschaft kommen, die
aber bislang weitgehend ausblieben sind. Da mit der forstlichen Fakultät
in Mérida nur eine Quelle forsttechnischer Professionalität
existiert, ist es wichtig, sich mit den Konzepten und Kategorien dieser
Schule zu beschäftigen, um zu sehen, ob diese Muster oder eher soziale
Kompromisse durch beispielsweise Korruption für die unkritische Zurückhaltung
der Experten ausschlaggebend sind.
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3. Hypothesen
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Forstexperten teilen Werte- und Vorstellungsmuster und bilden eine „epistemic-community".
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Diese Gemeinschaft sieht ihre Aufgabe und Legitimation in der technischen
Bewältigung industrieller Holzexploitation, weshalb sie die auftretenden
Waldzerstörungen nicht als ihr Problem wahrnimmt.
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Der Institutionalisierungsprozeß im Umweltschutz, der außerhalb
des Forstsektors induziert wurde, erhöht den Druck auf Akteure im
Forstsektor, symbolhafte Handlungen zu verrichten.
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Das scheinbar erfolgreiche Forstmanagement, dessen positives Erscheinungsbild
durch den Konservie-rungsdiskurs erhalten bleibt, erleichtert die Akkumulation
öffentlicher Güter in den Händen Weniger.
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4. Methoden
Um die Hintergründe dessen zu verstehen, warum in Venezuela offensichtliche
Fehlentwicklungen nicht zu Handlungsdruck des politischen Systems führen,
obwohl Entwaldung ethisch-professionellen und politisch-legalen Zielen
zuwiderläuft, ist ist es entscheidend, sich mit der Bedeutung von
politischen Diskursen (7) und der Frage
auseinanderzusetzen, welche Rolle im relativ kleinen Forstsektor wissenschaftliche
Experten ausüben (8). Neben dieser
"Macht" der Sprache und Konzeptionen darf die ökonomische Macht bestimmter
Gruppen, v.a. bei der Implementation von Politiken nicht übersehen
werden. (9). Die venezolanische Forstpolitik
wurde bislang wissenschaftlich nicht untersucht. Um hier eine Informationsbasis
zu schaffen und konzeptionelles Denken von Experten zu erschließen,
wurden qualitative Interviews mit verschiedenen Schlüsselgruppen (Wissenschaftler,
Konzessionäre, Beamte, Politiker, NGOs) durchgeführt. Zusätzlich
wurden durch stichprobenartige Aufnahmen in den beiden genannten Forstreservaten
überprüft, wie die Umsetzung der forstpolitischer Ziele vor Ort
von statten geht. Statistik- und Inhaltsanalysen von Dokumenten und Presseveröffentlichungen
sollen zur Analyse der „frames“ herangezogen werden (10).
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5. Resümee
Es gibt in der Waldwirtschaft Aneignungs- und Akkumulationsprozesse, bei
denen Konzessionäre der relativ risikolose Zugriff auf staatliche
Wälder zugestanden wird. Durch hohe Gewinnraten lassen sich staatliche
Kontrollen korrumpieren. Alle Beteiligten sind dennoch zur Einhaltung gewisser
Spielregeln bereit, die die „Story“ von der nachhaltigen Nutzung der Wälder
reproduziert, was es neuen Interessenten an dieser Rente erschwert, Zugang
zu bekommen, aber eben auch die Existenzberechtigung von Forstwissenschaft
und -verwaltung begründet. Die "policy-making"- Prozesse verlaufen
„unsichtbar“ innerhalb der Fach-Community. Mitunter sucht man dabei wissenschaftliche
Legitimierung auch im Ausland. Die Beschäftigung mit „stories that
sound right“ (11) hat in Venezuela
auch deswegen Bedeutung, da hier das politische Spiel immer darum ging,
Zugang zu Anteilen der Ölrente zu begründen. Dabei hat Realitätsbezug
der „Story“ im Kern keine Bedeutung für das Überleben des Systems
an sich. Staat oder Herrschaftsapparat sind über die Kontrolle der
Ölrente unabhängig. Solange der Schein gewahrt bleibt, kann er
sogar als ein stabilisierender Faktor der gegebenen Strukturen und Abläufe
angesehen werden.
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Anmerkungen
-
(1) Vgl. FAO (1997) State of the world's
forest. Advance copy. Rome, S. 17
-
(2) Vgl.: FAO (1993) Forest resource
assessment. Roma. Oder: MARNR (1995), National greenhouse preliminary inventory.
Caracas.
-
(3) Vgl. z.B. FAO (1997) a.a.O.
-
(4) Das war Ergebnis einer Tagung am
14.10.97, bei der die von Monitor Company mit dem Ministerium für
Ind. und Handel (MIC) durchgeführten Studie zur Wettbewerbsfähigkeit
des venez. Forstsektors vorgestell
-
(5) Hajer, Maarten A. (1995) The politics
of environmental discourse. Ecological Modernization and the policy process.
Oxford, S.4.
-
(6) Vgl. z.B. Prittwitz, Volker v. (1990)
Das Katastrophenparadox - Elemente einer Theorie der Umweltpolitik. Oladen,
wo gezeigt wird, daß Politik eingreift, wo es sich um lösbare
Konflikte handelt und nicht do
-
(7) Vgl. z.B. Hajer a.a.O.
-
(8) Vgl. z.B. Haas , Peter M. (1992)
Introduction: epistemic communities and international policy coordination.
In: International Organization 46/1, p 1-35.
-
(9) Vgl. z.B. Caporaso, J.A, Levine,
D.P.(1992) Theories of political economy. Cambridge
-
(10) Vgl. Donati, Paolo R., Political
discourse analysis. Aus Diani, M / Eyerman, R. (eds.), Studying collectiv
aktion. London et al. 1992, S.136-167. Hier v.a. 143-155.
-
(11) Hajer, a.a.O. S.63.
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