Projektgruppe

„Sozio-Ökonomie der Waldnutzung in den Tropen und Subtropen“

Doktorand: Christoph Aicher (Diplom-Forstwirt / Politikwissenschaftler)
Tel: +49-761 - 203 8603
E-mail: aicherch@uni-freiburg.de
Betreuer: Prof. Dr. Jürgen Pretzsch (TU-Dresden-Tharandt)

 
Forstpolitik in Venezuela. 
Vom Mißerfolg erfolgreicher Politik(Vorläufiger Arbeitstitel, Stand Januar 1998)

 
 

1. Problemstellung

Während die Diskussion um die Tropenwälder aus dem öffentlichen Interesse der westlichen Industrieländer zu verschwinden droht, nimmt die Problematik ihres Rückgangs und den daraus resultierenden Folgen tatsächlich zu. (1) Dies gilt auch für die Wälder Venezuelas, die bislang wenig Beachtung fanden. Venezuela ist zwar bislang, landesweit betrachtet, mit ca. 50% noch immer zu einem hohen Grad bewaldet. Seit den 80er Jahren wurde aber ein bis dato nicht gekanntes Tempo der Entwaldung erreicht, die auf bis zu 500.000-600.000ha pro Jahr geschätzt wird. Dies ist um so erstaunlicher als in Venezuela viele der geläufigen Erklärungsmuster nicht greifen Dies gilt auch für die Wälder Venezuelas, die bislang wenig Beachtung fanden. Venezuela ist zwar bislang, landesweit betrachtet, mit ca. 50% noch immer zu einem hohen Grad bewaldet. Seit den 80er Jahren wurde aber ein bis dato nicht gekanntes Tempo der Entwaldung erreicht, die auf bis zu 500.000-600.000ha pro Jahr geschätzt wird (2) .

Dies ist um so erstaunlicher als in Venezuela viele der geläufigen Erklärungsmuster nicht greifen. (3) Der Verstädterungsgrad ist hoch, die landwirtschaftliche Produktion gering, die Bevölkerung bezogen auf die Landfläche ebenso. Der venezolanische Staat scheint zudem dank der Erdöleinnahmen verhältnismäßig unabhängig zu sein, was sein Steuerungspotential erhöhen müsste. Außerdem legen die vielen Institutionen im Umweltsektor den Schluß nahe, daß es ein staatliches Interesse an Umweltschutz gibt. Venezuela war z.B. das erste Land in Lateinamerika, das damit angefangen hatte, Wälder mittels langfristiger Managementpläne zu nutzen. 

Von der Entwaldung sind auch Waldflächen betroffen, die per Gesetz zu dauerhaften Waldgebieten erklärt worden waren, sog. „Reservas Forestales". Obwohl bislang keine forstpolitischen Mittel gefunden wurden, die destruktiven Prozesse zu verhindern, will die derzeitige Regierung in noch weit größerem Rahmen Holzexploitation fördern . (4

  • Wie erklären sich die Entwaldungsprozesse unter diesen besonderen Umständen? 
  • Welche Rolle spielt der "Staat" bei der Gestaltung des Verhältnisses von Wald und Gesellschaft?

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    2. Untersuchungsdesign

    Ausgangspunkt der Arbeit ist die These, daß staatliche Politik Einfluß auf gesellschaftliche Prozesse und Strukturen hat. Das „policy-making" stellt dabei ein Instrument zur Problembewältigung und Konfliktvermeidung dar. Die materialisierte Forstpolitik weist insbesondere Forstreservaten den Status von "permanenten" Wäldern zu, die Schutz- und Holzproduktionsfunktionen zu erfüllen haben. Von den alten Forstreservaten im Westen des Landes sind aber nur noch geschätzte 30% erhalten. Wieso konnte dies geschehen, ohne daß es zu größeren politischen Reaktionen kam? Wo politisch-legale und professionel-ethische Ziele der nachhaltigen Nutzung nicht erreicht werden, müsste eigentlich hoher politischer Handlungsbedarf erwartet werden. Ob (Umwelt)-Probleme als solche wahrgenommen werden und in die Politikarena gelangen, hängt jedoch von der Art ab, wie diese definiert oder mit welchen „frames“ sie versehen werden (5). Will man verstehen, warum es zu den skizzierten widersprüchlichen Entwicklungen in der Forstpolitik Venezuelas kommen konnte, muß also analysiert werden, wie Probleme bestimmt werden, wer bei der Definition der Probleme beteiligt ist sowie welche dieser als lösenswert betrachtet werden (6).

    Bezugspunkt der Forschung bilden zwei Forstreservate (Imataca und Ticoporo). Hier liegen klare politische und forsttechnische Zielsetzungen vor, die sich unter dem forstpolitischen Paradigma „Schutz durch Nutzung" plakativ zusammenfassen lassen. Ticoporo ist um so interessanter, als es lange Zeit als Modell für Lateinamerika gepriesen wurde. Es war das erste Waldgebiet, das sog. langfristigen Managementplänen unterworfen wurde. Sein erster „Produktionszyklus“ steht kurz vor dem Ende. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Die erhofften sozialen und ökonomischen Effekte sind weitgehend ausgeblieben. Weder profitierte der Arbeitsmarkt in signifikantem Maße, noch kam es zum unterstellten „take-off“ ruraler Entwicklung. Die ökologischen Wirkungen zeigen sich in ausgeplünderten und z.T. gänzlich verlorengegangenen Waldflächen. Ungeachtet dessen wurde das "Modell" Ende der 80er Jahre in den Süden des Landes (Imataca) übertragen, wo die Verhältnisse um einiges schwieriger sind, da es sich um noch fragilere Ökosysteme handelt. 

    In Venezuela findet die Aneignung öffentlicher Güter in Händen weniger Unternehmen nicht offen statt. Konzessionäre sind zu gewissen symbolischen „Reinvestitionen" (z.B. Anlegen von Plantagen, Linienpflanzungen...) bereit, die ihrem eigentlich produktiven Charakter jedoch zuwiderlaufen und zu bloßen betriebswirtschaftlichen Kosten geraten, weil sie beispielsweise nach wenigen Jahren aufgrund mangelnder Pflege absterben. Gleichzeitig wird von heimischen Forstexperten immer wieder auf die vorbildliche Ressourcennutzung verwiesen und etwaige Mängel auf unwesentliche Implementationsprobleme oder außerforstliche Akteure verschoben. Es besteht in Venezuela darüber hinaus breiter öffentlicher Konsens, daß es ein vorbildliches Forstmanagement besitzt.

    Anstöße zur Thematisierung der Probleme oder zu forstpolitischen Kursänderungen könnten von Seiten der Wissenschaft kommen, die aber bislang weitgehend ausblieben sind. Da mit der forstlichen Fakultät in Mérida nur eine Quelle forsttechnischer Professionalität existiert, ist es wichtig, sich mit den Konzepten und Kategorien dieser Schule zu beschäftigen, um zu sehen, ob diese Muster oder eher soziale Kompromisse durch beispielsweise Korruption für die unkritische Zurückhaltung der Experten ausschlaggebend sind.

     



    3. Hypothesen

      • Forstexperten teilen Werte- und Vorstellungsmuster und bilden eine „epistemic-community".
      • Diese Gemeinschaft sieht ihre Aufgabe und Legitimation in der technischen Bewältigung industrieller Holzexploitation, weshalb sie die auftretenden Waldzerstörungen nicht als ihr Problem wahrnimmt. 
      • Der Institutionalisierungsprozeß im Umweltschutz, der außerhalb des Forstsektors induziert wurde, erhöht den Druck auf Akteure im Forstsektor, symbolhafte Handlungen zu verrichten.
      • Das scheinbar erfolgreiche Forstmanagement, dessen positives Erscheinungsbild durch den Konservie-rungsdiskurs erhalten bleibt, erleichtert die Akkumulation öffentlicher Güter in den Händen Weniger. 
     



    4. Methoden

    Um die Hintergründe dessen zu verstehen, warum in Venezuela offensichtliche Fehlentwicklungen nicht zu Handlungsdruck des politischen Systems führen, obwohl Entwaldung ethisch-professionellen und politisch-legalen Zielen zuwiderläuft, ist ist es entscheidend, sich mit der Bedeutung von politischen Diskursen (7) und der Frage auseinanderzusetzen, welche Rolle im relativ kleinen Forstsektor wissenschaftliche Experten ausüben (8). Neben dieser "Macht" der Sprache und Konzeptionen darf die ökonomische Macht bestimmter Gruppen, v.a. bei der Implementation von Politiken nicht übersehen werden. (9). Die venezolanische Forstpolitik wurde bislang wissenschaftlich nicht untersucht. Um hier eine Informationsbasis zu schaffen und konzeptionelles Denken von Experten zu erschließen, wurden qualitative Interviews mit verschiedenen Schlüsselgruppen (Wissenschaftler, Konzessionäre, Beamte, Politiker, NGOs) durchgeführt. Zusätzlich wurden durch stichprobenartige Aufnahmen in den beiden genannten Forstreservaten überprüft, wie die Umsetzung der forstpolitischer Ziele vor Ort von statten geht. Statistik- und Inhaltsanalysen von Dokumenten und Presseveröffentlichungen sollen zur Analyse der „frames“ herangezogen werden (10). 
     



    5. Resümee

    Es gibt in der Waldwirtschaft Aneignungs- und Akkumulationsprozesse, bei denen Konzessionäre der relativ risikolose Zugriff auf staatliche Wälder zugestanden wird. Durch hohe Gewinnraten lassen sich staatliche Kontrollen korrumpieren. Alle Beteiligten sind dennoch zur Einhaltung gewisser Spielregeln bereit, die die „Story“ von der nachhaltigen Nutzung der Wälder reproduziert, was es neuen Interessenten an dieser Rente erschwert, Zugang zu bekommen, aber eben auch die Existenzberechtigung von Forstwissenschaft und -verwaltung begründet. Die "policy-making"- Prozesse verlaufen „unsichtbar“ innerhalb der Fach-Community. Mitunter sucht man dabei wissenschaftliche Legitimierung auch im Ausland. Die Beschäftigung mit „stories that sound right“ (11) hat in Venezuela auch deswegen Bedeutung, da hier das politische Spiel immer darum ging, Zugang zu Anteilen der Ölrente zu begründen. Dabei hat Realitätsbezug der „Story“ im Kern keine Bedeutung für das Überleben des Systems an sich. Staat oder Herrschaftsapparat sind über die Kontrolle der Ölrente unabhängig. Solange der Schein gewahrt bleibt, kann er sogar als ein stabilisierender Faktor der gegebenen Strukturen und Abläufe angesehen werden. 
     



    Anmerkungen

      • (1) Vgl. FAO (1997) State of the world's forest. Advance copy. Rome, S. 17
      • (2) Vgl.: FAO (1993) Forest resource assessment. Roma. Oder: MARNR (1995), National greenhouse preliminary inventory. Caracas.
      • (3) Vgl. z.B. FAO (1997) a.a.O.
      • (4) Das war Ergebnis einer Tagung am 14.10.97, bei der die von Monitor Company mit dem Ministerium für Ind. und Handel (MIC) durchgeführten Studie zur Wettbewerbsfähigkeit des venez. Forstsektors vorgestell
      • (5) Hajer, Maarten A. (1995) The politics of environmental discourse. Ecological Modernization and the policy process. Oxford, S.4.
      • (6) Vgl. z.B. Prittwitz, Volker v. (1990) Das Katastrophenparadox - Elemente einer Theorie der Umweltpolitik. Oladen, wo gezeigt wird, daß Politik eingreift, wo es sich um lösbare Konflikte handelt und nicht do
      • (7) Vgl. z.B. Hajer a.a.O. 
      • (8) Vgl. z.B. Haas , Peter M. (1992) Introduction: epistemic communities and international policy coordination. In: International Organization 46/1, p 1-35. 
      • (9) Vgl. z.B. Caporaso, J.A, Levine, D.P.(1992) Theories of political economy. Cambridge
      • (10) Vgl. Donati, Paolo R., Political discourse analysis. Aus Diani, M / Eyerman, R. (eds.), Studying collectiv aktion. London et al. 1992, S.136-167. Hier v.a. 143-155. 
      • (11) Hajer, a.a.O. S.63. 

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    by Eberhard Weber Jan. 1998