Projektgruppe

„Sozio-Ökonomie der Waldnutzung in den Tropen und Subtropen"

Doktorandin: Martina Grimmig (Ethnologin, Soziologin M.A.)
Tel:+49-761/203-8604 
E-mail: grimmig@uni-freiburg.de
Betreuer: Prof. Dr. Ulrich Köhler (Institut für Völkerkunde, Albert-Ludwig Universität Freiburg)
 
 

              Ökologisch gesehen: 
Die Kariña in der Forstreserve Imataca 
im Südosten Venezuelas
(Vorläufiger Arbeitstitel, Stand Januar 1998)


Problemstellung

Im letzten Jahrzehnt hat die Rolle indigener Völker bei der Nutzung und Bewahrung tropischer Wälder in Wissenschaft und Politik große Aufmerksamkeit erfahren. Insbesonders lagen diesem Interesse Erkenntnisse zugrunde, denen zufolge die traditionellen Nutzungspraktiken und Wissensformen indigener Völker dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung entsprachen, wie sie in der Folge der Rio-Konferenz zum globalen politischen Ziel erhoben wurde. Die politische Bedeutung dieser Entwicklung zeigt sich denn auch gerade in den wachsenden Artikulationsmöglichkeiten, die indigene Vertreter für ihre Belange in Foren der internationalen Umweltpolitik gefunden haben.
Diese Entwicklungen bilden den Hintergrund für die Analyse der jüngsten waldbezogenen Konflikte in Bundesstaat Bolívar im Südosten Venezuelas. Im Brennpunkt der Arbeit steht die konkrete Situation der zur Sprachfamilie der Kariben gehörigen Kariña im Gebiet der umstrittenen Forstreserve Imataca. Ein Großteil der Feldarbeit wurde dementsprechend in der etwa 100 Personen umfassenden Streusiedlung Botanamo und den umliegenden Dörfern durchgeführt, die den waldlichen Siedlungsraum der Kariña in Venezuela ausmachen. (Ein zweites, größeres Siedlungsgebiet liegt etwa 400 km nordwestlich im Savannengebiet der Bundesstaaten Anzoategui und Monagas).
Um die Bezüge der Kariña in den oben genannten Entwicklungen erfassen zu können, müssen jedoch auch andere Felder untersucht werden, in denen sich jene maßgeblich konstituieren. Hierzu gehören Allianzen und Koalitionen, die sich implizit auf den global zirkulierenden "Indigenendiskurs" gründen, ebenso wie Programme und Kategorisierungen staatlicher Institutionen. Des weiteren müssen auch die geschichtlichen Prozesse Beachtung finden, vor deren Hintergrund bestimmte Praktiken und Landschaften erst entstanden sind, wie z.B. jene der heutigen Kariña in Imataca - einem seit mehreren Jahrhunderten von den Kariben besiedelten Gebiet. 
Über aktuelle Nutzungskonflikte stehen die Kariña zudem in unmittelbarem Bezug zu anderen Gruppen in der Region. Ihre in diesen Auseinandersetzungen relevante diskursive Position wird dabei wesentlich von regionalen und nationalen Organisationen (einschließlich Koalitionspartnern) bestimmt, deren Artikulationsvermögen seinerseits nur im internationalen Kontext verständlich wird. Besonders deutlich illustriert wird dies in den derzeitigen Auseinandersetzungen im venezolanischen Parlament um den neuen Raumordnungsplan für die Untersuchungsregion.



Theoretischer Rahmen

Theoretische Bezugspunkte der Arbeit sind die gegenseitige Durchdringung von Macht und Wissen, wie sie in der Foucaultschen Diskursanalyse im Hinblick auf größere, historische Prozesse entfaltet wurde, sowie soziologische Theorien der Machtdurchdrungenheit gesellschaftlicher Differenzierung, wie sie u.a. Bourdieu im Begriff des symbolischen Kapitals gefaßt hat.
Ein in diesem Sinne diskursanalytischer Ansatz fragt nicht nur nach den alltäglichen Praktiken indigener Gruppen, sondern auch nach den Wissens- und Repräsentationsformen, durch welche diese Gruppen als bestimmte historische Subjekte hergestellt werden, und die gleichzeitig die Regeln erzeugen, nach denen von ihnen artikulierte Positionen im gesellschaftlichen Diskurs wahrgenommen werden - oder nicht. Einen ersten Versuch, die verschiedenen Dimensionen der Repräsentation des "Indigenen" in Umweltdebatten systematisch zu fassen, gibt die nachfolgende Tabelle.
 

Die Arbeit unternimmt nicht den Versuch, sich diesen verschiedenen Dimensionen und den von ihnen aufgeworfenen Forschungsperspektiven in gleichmäßiger Intensität zuzuwenden. Exemplarisch scheint es jedoch lohnend, gerade die Brüche und Leerstellen zwischen den meist recht isoliert abgehandelten Strängen des Indigenen-Umwelt-Diskurses in den Blick zu nehmen.



Zentrale Fragestellungen

  • Wie nutzen die Kariña den Wald? (Kontext, Dynamiken)
  • Welche zentralen Konflikte lassen sich aufzeigen ? (konkurrierende Nutzungsformen und Bedeutungen)
  • Was sind wesentliche Artikulationsformen, in denen sich indigene Nutzungsansprüche und indigener Widerstand äußern? (Organisation, Argumentationslinien)
  • Welches Wissen und welche Bilder werden über indigene Gruppen in Venezuela hergestellt und wie kommen diese in Ressourcenkonflikten und politischen Artikulationen indigener Gruppen zum Tragen?



Erste Ergebnisse

  • Die Kariña stehen seit den 80er Jahren in zunehmenden Konflikten mit kommerziellen Holznutzern und Goldsuchern verschiedener Größenordnung. Diese Konflikte entwickeln wachsende Bedeutung auch auf der Ebene der nationalen Debatten über Umwelt und Entwicklung.
  • Die traditionelle subsistente Wirtschaftsweise der Kariña hat sich während der letzten Jahrzehnte erstaunlich wenig verändert (vgl. Gillins grundlegende Studie von 1936 über die Kariña im angrenzenden Guyana und die Wiederholungsstudie von Adams 1972). Die Praktiken und die soziale Organisation des Feldbaus (Brandrodung, Anbauzyklen, Produkte),. der Jagd (Geräte, Jagdtiere, Häufigkeiten), des Fischfangs (Techniken) und der Sammelwirtschaft (Tiere, Heilpflanzen, Früchte,), sowie die materielle Kultur (insbesondere Hausbau) entsprechen nach einer ersten Auswertung noch weitgehend den vor sechzig Jahren erhobenen Befunden. Insbesondere verblüfft die extrem geringe Anbindung an Märkte aller Art, obwohl sich die infrastrukturelle Anbindung durch die Lage an einer fast ganzjährig befahrbare Piste ganz markant verändert hat.
  • Das im Vergleich zu regionalen, und erst recht zu nationalen Standards extrem marginale Dasein der Kariña steht in Kontrast zu einer merklichen Repräsentation in den gegenwärtigen politischen Konflikten. Zwar ist die Präsenz dieser Kariña im öffentlichen Feld ungleich geringer als etwa die der Pemon oder gar der Yanomami, ihre Stimmen lassen sich jedoch sowohl national deutlich vernehmen, wie selbst in Foren der Vereinten Nationen, so zuletzt auf Sitzungen der UN Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD).
  • In der politischen Artikulation ihrer Belange in den gegenwärtigen Konflikten spielen externe Führungsfiguren eine beträchtliche Rolle, die zum Teil auf Erfahrungen in früheren Auseinandersetzungen in anderen Regionen zurückgreifen können. Hier bestehen direkte personelle Verknüpfungen mit den unter völlig anderen Bedingungen lebenden Kariña aus dem Staat Anzoategui, die seit mehreren Jahrzehnten Auseinandersetzungen um die Teilhabe an den dortigen Ölressourcen führen.
  • In der Wahrnehmung und im Handeln staatlicher Akteure wird die Situation der Indigenen vor allem als soziale Frage und als geostrategisches Problem artikuliert. Ansprüche, die sich auf kulturelle Differenz begründen, oder Möglichkeiten zu deren Verwirklichung einfordern, werden dagegen im Namen von Gleichheit und nationaler Souveränität ausgegrenzt. Dies gilt erst recht in Bereichen, in denen indigene Rechte oder Landtitel die Kontrolle des Staates über die Aneignung und Verteilung von Ressourcen gefährden könnten.



Literatur

  • Adams, Kathleen. 1972. The Barama River Caribs Restudied: Forty Years of Cultural Adaptation and Population Change. Cleveland: Case Western Reserve University.
  • Gillin, John. 1936. The Barama River Caribs of British Guiana. Papers of the Peabody Museum: Harvard University.

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by Eberhard Weber Jan. 1998